
„Jeder bekommt den Hund, den er verdient." Alternativ auch "Du bekommst nicht den Hund den du dir wünschst, sondern den, den du brauchst."
So oft schon habe ich diesen Satz gehört und gelesen. Und mal zu Ende gedacht finde ich ihn mehr als problematisch.
Hat die Familie mit einem netten Golden-Retriever, der die allermeiste Zeit allen Freude bereitet, es verdient, einen so netten Hund zu haben? Nein, sie haben ihn sich gut ausgesucht und vielleicht auch einfach Glück gehabt. Ich gönne es ihnen, dass ihre Vorstellung von Hundehaltung mit der Realität übereinstimmt.
Hat es jemand verdient, einen Hund mit einer Verhaltensstörung zu haben oder einen Hund, der dem Kind ins Gesicht beißt? Wenn man z.B. an die damalige Cockerwut zurückdenkt, bei der Cockerspaniel mit roter Farbe plötzlich wie bei einem Anfanll wild um sich bissen und sich kurz darauf wieder normal verhielten.
Da bekommt der Satz plötzlich einen ganz bitteren Beigeschmack, oder?
Ich verstehe schon, was für eine Idee hinter dem Satz steckt. Ein Hund bringt, egal wie gut man sich vorher beraten lässt und es sich aussucht, sein eigenes Wesen mit. Es ist nicht alles planbar, und wir brauchen Hundehalter:innen, die das akzeptieren. Da gehe ich ganz mit.
Es ist mehr als begrüßenswert, wenn Menschen durch ihre Hunde selbst neue Fähigkeiten lernen, sich reflektieren und über sich hinauswachsen. Aber eben nicht jeder will sich „ein großes Thema anschaffen" oder hat Geld, um in viele Stunden Hundetraining und Verhaltensberatung zu investieren. Und das ist vollkommen okay.
Hundehaltung darf ganz unterschiedlich aussehen. Wer Freude daran hat, seine Komfortzone zu verlassen und die Herausforderung sucht, der darf sich glücklich schätzen, sie gefunden zu haben. Aber wer dies eben nicht will und das Glück hat, einen Hund gefunden zu haben, der zwar wie jeder Hund Erziehung verdient hat, aber eben nicht zu einer Riesenaufgabe und zu einer Art „Selbstfindungstrip" wird, der soll sich bitte einfach an seinem Hund erfreuen können.
Aus meiner eigenen Geschichte kann ich sagen: Ich habe eine Hündin, die früher extremes Fluchtverhalten gezeigt hat, die mich in meinem Alltag sehr stark eingeschränkt hat und vieles auch heute nicht in der Form mit ihr möglich ist wie z.B. mit meinem anderen Hund. Auch heftiges Aggressionsverhalten gegenüber anderen Hunden hatte sie im Gepäck und dazu ein absolut dünnes Nervenkostüm. Habe ich das verdient? Nein, ich habe mich dazu entschieden. Und hätte ich komplett gewusst, wie zäh dieses Tier ist – ich weiß nicht, ob ich sie genommen hätte. Eher nicht. Bereue ich es deswegen? Keinesfalls. Ich bin Hundetrainerin, und Selbsterfahrung ist ein Geschenk für meinen Beruf. Und zusammen mit diesen Erfahrungen hat sich meine Leidenschaft für das Thema „Hunde mit Ängsten" weiter vertieft. Hätte ich sie aber nicht übernommen, hätte ich viel mehr Raum, Zeit und Nerven gehabt, um mich in anderen Bereichen weiterzuentwickeln. Wäre das besser oder schlechter für mich gewesen – ganz ehrlich, keine Ahnung.
Ich finde auch, nicht jeder muss sich ständig entwickeln wollen. Es ist mehr als okay zu sagen: „Auf den Stress, auf die Wundertüte habe ich keine Lust." Oder wie Pippi Langstrumpf sang: „Faulsein ist wunderschön, denn die Arbeit hat noch Zeit."
Vielleicht steckt auch hinter dem „Du bekommst den Hund, den du verdienst"-Satz das Bedürfnis, auch aus einer schwierigen Situation etwas gewonnen zu haben. Und ja, ich denke, das ist auch häufig so. Menschen, die mit ihrem Hund einiges durchgemacht haben, haben häufig viel auf diesem Weg mitgenommen, was sie vor der Anschaffung des Hundes so gar nicht erwartet hätten. Arbeit an Beziehungen, an Kommunikation und Selbstreflexion ist wertvoll. Und manchmal können sich gerade dann, wenn man durch ein Problem und hohen Leidensdruck hineinstolpert, schöne Geschichten entwickeln. Aber nicht alle diese Geschichten sind so schön und erzählenswert. Es gibt sie von bis – und eben auch bis zum Biss ins Gesicht oder einer Abgabe ins Tierheim. Und nicht zuletzt sind Zeit und Ressourcen, sich mit und für seinen Hund zu entwickeln, auch eine ziemlich privilegierte Angelegenheit.
Ich würde mir wünschen, dass dieser Satz langsam zu den Akten gelegt werden kann und stattdessen direkt angesprochen wird, was wirklich gemeint ist. Wie wäre es, stattdessen Sätze zu sagen wie: „Es war ein nicht einfacher, aber spannender Weg mit meinem Hund mit vielen Lernerfahrungen, für die ich rückblickend dankbar bin."
Ich würde mir wünschen, mehr bei sich zu bleiben und nicht von der eigenen Erfahrung auf andere zu schließen. „Jeder", „alle", „immer" sind im Zusammenhang mit Beziehungen Wörter, die seltenst gute Verwendung finden.